Dienstag, 12. Mai 2009

// INDIAN LOVER - WEIL PEACEFINDINGE LIEBE MITNICHTEN SEARCHT // fabsn //

TAG 1
Ich bin es nicht gewohnt, den Boden unter den Fuessen weggezogen zu
bekommen. Meistens stehe ich so fest, dass es schon eine Menge an
Urgewalten oder Urgewalttaetigkeiten benoetigt, um mich ins wanken
zu bringen...

...aber von vorne.
Nach dem bisher luftloechrigsten Flug meiner jungen
Luftverkehrsgeschichte bildet sich eine wild umformende Traube aus
Menschen um einen kleinen Tisch, an dem zwei Maenner, gekleidet in
weiss, Atemschutzmasken tragend, Zettel, Stempel und Antworten auf
mir nicht verstaendliche Fragen verteilen. Hier beginnt mein erster
indischer Kampf.
Mutig stuerze ich mich in die wogende Masse, nutze meine
Koerpergroesse voll aus, kraule ueber Koepfe hinweg und erreiche die
Tischkante ueber einen letzten Schmetterlingsschlag, bei dem mein
linker Trizeps den Hut meines Nachbarn und aergsten Kontrahenten
schlaegt und ich mir so die Pole Position sichern kann.
Die Schweinepest - ich hoerte davon. Irgendwo auf diesem Planeten
tauchten wohl juengst einige Faelle davon auf.
Die Inder gehen auf Nummer sicher und haendigen jedem
Neuankoemmling einen Zettel mit unnoetigen Fragen aus.
Wo kommst du her, wo gehst du hin? Zusammengefasst sind dies die
Fragen die uebrig bleiben, wenn man den ueblichen Rest, wie Name
des Vaters oder die Passnummer, ausklammert.

Bei der Gepaeckausgabe treffe ich auf Itai, aus Tel Aviv.
Spontan teilen wir uns ein Taxi in die Innenstadt. Als wir losfahren
beginnt es gerade zu daemmern, jedoch ist noch genuegend Licht
vorhanden, um zu erkennen, dass Kalkutta so New-School ist wie
mein mp3-Player. Ich geniesse den unbedarften Mix aus 40er Jahre
Automobildesign, 70er Jahre Klamotten und, hmmja, so viel Muell an
den Strassenraendern, dass er noch aus den 90ern stammen koennte.
Das Taxi haelt an der Sudder Street, dem "Traveller" Viertel
Kalkuttas. Ich oeffne die linke, hintere Wagentuere, bereit zum
aussteigen. Die erste Bekanntschaft mit dem Geruch, der mich von
jetzt an durch diese Stadt begleiten wird. Eine Mischung aus den
Geruechen, auf die der menschliche Koerper aus gutem Grund am
heftigsten mit Gegenwehr reagiert: Vergammelte Nahrungsmittel,
Exkremente, Verwesendes Fleisch.
Nach kurzem innehalten lasse ich ein Bein aus der Tuer gleiten und
darf sogleich meine zweite Bekanntschaft mit einem Kalkuttanischen
Dauergast machen. Eine aufgedunsene, in Totenstarre verharrende
Ratte liegt neben meinem Fuss, parallel ausgerichtet, als haette sie
jemand zum Ausmessen dort platziert - ich tippe auf Schuhgroesse
48-50, den Schwanz nicht mitgerechnet, wohlgenaehrt und proper.

Ich packe meine Scheuklappen aus, strammen Schrittes begeben wir
wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft. Die Leute reagieren
unfreundlich, als wir den Preis fuer eine der Absteigen versuchen zu
druecken, kurzerhand werden wir sogar rausgeschmissen.
-Ist das etwa Indien?
Die grabschenden Haende von Bettlern, sowie hartnaeckige Verfolger
werden abgeschuettelt. Es stuermt und schauert in regelmaessigen
Abstaenden. Eine Plane samt Gerueststange verfehlt nur knapp den
Kopf meines Israelischen Begleiters, als sie sich unter einer heftigen
Boee von einem der zahlreichen baufaelligen Gebaeude loest.
Wir entscheiden uns letztendlich fuer das Hotel Paramount in einer
der zahlreichen dunklen Seitengassen. Erschoepft und gluecklich
darueber eine Bleibe gefunden zu haben, beziehen wir unser
Mittelklassezimmer mit Bad und Sat-TV fuer umgerechnet 2 Euro
pro Person.

Nach einer Kurzen Verschnaufpause sowie einer befreienden Dusche
begeben wir uns wieder auf die Strassen Kalkuttas, um ein ausgiebiges
Bengalisches Mahl zu ergattern.
Die Szenerie ist filmreif und koennte dem kranken Hirn eines
Ueberbudgetierten Buehnenbildners entsprungen sein. Der Sturm hat
sich gelegt, es ist nahezu windstill, auch zu regnen hat es aufgehoert.
Das Wasser rinnt an den schmutzigen Fassaden der Haeuser herunter.
Es herrscht eine truegerische Ruhe.
Die Strassen haben sich geleert, uebriggeblieben nur die zahlreichen
Heimatlosen, die meist nur bedeckt mit einem Tuch um die Lenden, an
den staubigen Buergersteigen liegen. Abgemagerte, zombiaehnliche
Wesen druecken sich gegenseitig den Stoff, nach dem es ihnen
verlangt, in die Venen. Direkt daneben eines dieser Gestelle aus Haut
und Knochen, er bringt gerade noch rechtzeitig die Kraft auf, um seinen
Darm auf den Buergersteig zu entleeren und wirkt dabei wie ein Hund,
der mir ungeniert mit mattem Blick direkt in die Augen schaut.
All diejenigen, welche nicht schlafen oder konsumieren, strecken uns
weiterhin ihre bettelnden Haende entgegen. Doch die Schockstarre,
in der ich mich befinde, verhindert eine Spende.

Nach 10 extremen Tagen in der Grossstadt Bangkok, ist es nun also
die Szenerie der fuenfzehnmillionen Einwohner grossen Stadt
Kalkutta, die den Boden unter meinen Fuessen in Bewegung und
mich selbst ins Wanken bringt.

Es gibt keine Fotos aus dieser Nacht, untypischer Weise fuer mich.
Ich werde wahrscheinlich noch einmal an diesen Ort zurueckkehren
muessen, um meinen Rueckflug anzutreten.
Ich lasse mir bis dahin Zeit mit der Entscheidung, ob Schnappschuesse
dieser Art unter die Kategorie "schlechtes Karma" fallen.

TAG 2
Der darauffolgende Tag ist ertraeglich, aber meine Koerperspannung
lockert sich dennoch kaum. Auf der Suche nach einem geeigneten
Fruehstuecksort treffe ich auf einen geschwaetzigen Inder, der mich
prompt auf einen Kaffee enlaedt. Ich folge der Einladung, verabschiede
mich jedoch nach kurzer Zeit wieder, als der Gute anfaengt mir die
Qualitaet seiner Tuecher anzupreisen und seinen halben Laden vor
mir ausbreitet. An einem Spiegel haengt ein verpixeltes Bild.
Zu sehen ist er selbst neben einem vollbaertigen Westler.
Es sei sein Freund, meint der geschwaetzige Inder, ein Saenger aus
Spanien, der einmal im Jahr fuer einen Monat nach Kalkutta komme,
um im Waisenhaus zu arbeiten.
Ich waere nie darauf gekommen wer hinter den Pixeln und dem
dichten Bart steckt, haette nicht ein anderer, weniger redseeliger
Inder seinen Namen erwaehnt.
Ricky Martin - wer haetts gedacht.
Livin' La Vida Loca...

90% des restlichen Tages verbinge ich im Internetcafe.
Auch hier wieder eine neue Bekanntschaft. Und zwar die des
Polizeistaates Indien. Eine Art Fahndungsfoto, sowie ein Foto meines
Reisepasses wird aufgenommen und ich bekomme eine Nummer
zugewiesen mit der ich mich fortan in allen indischen Internetcafes
einloggen muss. Ich bin jetzt also verfolgbar, denn Internetcafes sind
fast ueberall zu finden und immer eine willkommene Abwechslung,
wenn man mal wieder aus der einen in die andere Realitaet entfliehen
muss.

Ich treffe Itai im Cafe wieder und wir erhalten die Nachricht,
dass neben den ausgebuchten Zuegen und Bussen noch ein "Local Bus,
no A/C, no Sleeper" zur Verfuegung stuende und Tickets noch
vorhanden seien.
Mal wieder die unguenstigste Zeit erwischt, um die Fahrt zum
naechsten Ziel anzutreten, denn die Inder haben Ferien und ein
beliebtes Ziel besser kastierter Inder ist, ob seines milden Klimas zu
dieser Jahreszeit, Darjeeling.
Nichtsdestotrotz, die Flucht muss angetreten werden -
ohne wenn, ohne aber, ohne Klimaanlage und ohne Schlafsitz.

Wir erreichen Darjeeling nach 21h Fahrt, ohne Schlaf, ohne Essen.
Dafuer mit einem durch Staub rotgefaerbten Shirt, verstopften
Atemwegen, einem unauffindbaren Bus, einem Achsbruch, einer
Videoattacke durch die indische Polizei und mal wieder unzaehlbarer
Schlagloecher.
In Thailand denkt man sich des oefteren, kleinere Details koennten
durch ein bisschen durchdachtere Organisation verbessert werden.
In Indien fragt man sich dagegen, wie zur Hoelle dieses System
ueberhaupt funktionieren kann, ohne reglmaessig zu kollabieren.

Ich befinde mich derzeit auf einem Trek durch das nordindische
Himalaya und all das Geschrieben liegt nun mehrere Tage hinter mir.
Lange genug, so dass meine Schockstarre laengst einem
Dauergrinsen gewichen ist.
Meine Sondergenehmigung fuer diese Region ( Sikkim ) betraegt
15 Tage. Sollte ich nochmal das Glueck haben auf eine Groessere
Stadt mit Internetzugang zu treffen, gibt es mehr von hier oben.
Ansonsten erst wieder in 2 Wochen.

Keine Fotos oder Videos diesmal, Verbindung zu lahm.

Wuenscht mir gutes Wetter, ganz schoen kuehl hier oben.

Cheersn
fabsn

2 Kommentare:

Anonymous Anonym meinte...

Yo Fabsn,
das ist ja wie in Kathmandu...
Viel Spaß in den Bergen!
Die Homepage geht hoffentlich
diese Woche online!
Cheersn Max

12. Mai 2009 um 14:56  
Anonymous Anonym meinte...

...aber zum Glück haben die Jungs die Atombombe, hö hö.

Nett zu lesen, was Du da schreibst! Viel Spass und Erfolg weiterhin,

Grüße,
OZ

18. Mai 2009 um 01:38  

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